In Vorarlberg hat der Unmut über die fortschreitende Verbauung von wichtigem Grünraum zum Zusammenschluss Gleichgesinnter geführt. Mit überraschenden Methoden arbeitet der Verein Bodenfreiheit daran Raumplanung in die Mitte der Bevölkerung zu holen, Grünflächen vor einer Bebauung zu schützen, Naturräume und landwirtschaftliche Flächen zu erhalten und Probleme der Siedlungsentwicklung und wirkungsvolle Strategien aufzuzeigen. Nachahmung erwünscht!
Wenn viele Leute ein bisschen Geld – einen Mitgliedsbeitrag – zahlen, dann kommt eine Summe zusammen, um Grundstücke zu kaufen und vor einer Bebauung zu schützen. So die Idee der Gründungsmitglieder des Vereins Bodenfreiheit vor rund 13 Jahren. Heute ist Bodenfreiheit ein gemeinnütziger Verein mit rund 700 Mitgliedern quer durch alle Gesellschaftsschichten.
Bodenschutz durch Dienstbarkeiten
Die Idee des Crowdfundings für Boden ist geblieben und dient mittlerweile auch zur Umsetzung einer neuen Bodenschutz-Strategie, dem Erwerb von Gehrechten. Dieses ist im Grundbuch als Dienstbarkeit eingetragen, weshalb die Fläche nicht mehr bebaut und versiegelt werden kann. So ist sie von Spekulationen ausgenommen und bleibt der Landwirtschaft erhalten. Ein Vertrag regelt, dass der Vorstand einmal jährlich kreuz und quer über den Grund spazieren darf. Für den Landwirt entsteht neben einer kleinen finanziellen Entschädigung der Vorteil sich des Verkaufsdrucks von Nachbarn und Investoren zu entledigen. Der Verein hat die erste Fläche dieses unkonventionellen, innovativen Ansatzes im Bodenschutz mit einem Grenzstein samt Aufschrift „Grünzone – in Stein gemeißelt“ markiert.
Boden – unsere Lebensgrundlage
Ein Nachbau dieses Steins steht in der Dauerausstellung des Architekturzentrums Wien. Das AzW hat die Arbeit des Vereins im Rahmen der Ausstellung „Boden für Alle“ beschrieben. Eine Ausstellung mit wichtiger Botschaft, denn die hohe Flächeninanspruchnahme und Bodenversiegelung zählen zu den großen umwelt- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit, sind aber vielen zu wenig bekannt oder bewusst.
Die Zahlen und Fakten in allen Bundesländern belegen dringenden Handlungsbedarf. Der 3-Jahresmittelwert der Flächeninanspruchnahme in Österreich lag im Jahr 2021 bei 41 km². Das entspricht der Größe von Eisenstadt. Im Durchschnitt der letzten drei Jahre wurden somit pro Tag 11,3 Hektar an Flächen für Bautätigkeiten, Betriebsflächen und Verkehr neu in Anspruch genommen. Das ist vier Mal so viel wie der im Regierungsprogramm festgelegte Zielwert von 2,5 Hektar pro Tag. (Quelle: Umweltbundesamt AT https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/boden/flaecheninanspruchnahme-bis-2021 ) Doch: „Boden ist Hauptgrundlage unserer Ernährung. 98 % unserer Nahrungsmittel stammen aus dem Boden. Ohne ausreichend gesunde Böden gibt es keine gesunden Lebensmittel. Bodenschutz geht uns alle an.“ (Quelle: FAO https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412019315855 ). Kerstin Riedmann, Geschäftsführerin des Vereins, meint hierzu:
Freiflächen erhalten
Den Vereinsmitgliedern von Bodenfreiheit geht es nicht darum, viel Fläche zu besitzen, sondern zu zeigen, welchen Wert eine Freifläche hat, denn die verschwinden zusehends. „Wir brauchen ein Moratorium für neue Widmungen. Vorarlberg hat so viel Bauland gewidmet, dass wir uns auf den bereits gewidmeten, aber noch nicht bebauten Grundstücken fast verdoppeln könnten“ erklärt Martin Strele, Mitinitiator und Obmann des Vereins, eine wichtige Forderung von Bodenfreiheit.
Wie alle Bundesländer verfügt auch Vorarlberg über einen Überhang an Bauland und Betriebsfläche. Das heißt ein Teil der gewidmeten Grundstücke ist unbebaut, dennoch wird laufend neu gewidmet. Im Bundesländervergleich liegt der Anteil des gewidmeten, nicht bebauten Baulands am gesamten Bauland zwischen 20 bis 38 Prozent (Quelle: ÖROK Atlas https://www.oerok-atlas.at/documents/OEROK_Bauland_Jan_2016.pdf ).
Das bereits gewidmete Bauland ist als Wertanlage begehrt und auf dem Markt teils kaum verfügbar. Die politischen Instrumente zur Regelung des Bodenmarktes scheinen nicht zu greifen. Der Umwidmungsdruck auf Gebiete, die nicht für eine Bebauung geeignet sind, steigt. Der Siedlungsteppich bereitet sich weiter aus und zieht hohe Erschließungskosten für die Allgemeinheit nach sich. Diese Kosten müssen zu einem überwiegenden Anteil aus den Einnahmen aus Grund- und Kommunalsteuern finanziert werden. Das erhöht wiederum den Druck auf Landwirtschaftsflächen, da Unternehmen und Gemeinden nach günstigen Ansiedlungsmöglichkeiten suchen. „Das ist eine Gefahr für unsere Lebensmittelproduktion, die natürliche Vielfalt unserer Ökosysteme und die notwendigen Freiräume für unser Leben“, meint Strele weiter. Um diese Spirale des Bodenverbrauchs nicht weiter zu befeuern, ist es von zentraler Bedeutung, mit den Flächen innerhalb des Siedlungsrandes langfristig ein Auskommen zu finden.
Sensible Verdichtung und Aktivierung von Leerstand
Ein notwendiger, aber noch rarer Ansatz, die rasante Flächeninanspruchnahme zu mindern ist die Verdichtung im Bestand. Der Verein hat ein Pionierprojekt angeregt, finanziert und begleitet: Architekturstudierende der Kunstuniversität Linz haben mit Hausbesitzerinnen und dem Verein Möglichkeiten erarbeitet, eine Einfamilienhausgegend im Bestand nachzuverdichten. In dem gemeinsam entwickelten Prozess zeigt die Studie am Beispiel einer konkreten Nachbarschaft die mögliche Vielfalt an Formen baulicher Verdichtung bei gleichzeitig hoher Lebensqualität.
Ein wichtiges Anliegen war es die Bewohner mit ihren Gedanken, Fragen, Sorgen und Ideen abzuholen. Das Ergebnis war erstaunlich: Von fünf Bebauungsentwürfen haben sich die dort lebenden Menschen für die dichteste Variante entschieden. Das zeigt die Möglichkeiten auf, die sich durch ein Abholen und Einbinden der Betroffenen ergeben.*
Bodenschutz geht uns alle an
Zusammen mit Luft und Wasser ist Boden für uns Menschen überlebenswichtig. Entsprechend sind neben der Freihaltung von Flächen der Aufbau von Wissen und Austausch rund um Grund und Boden zentrale Anliegen des Vereins. Dazu finden regelmäßig Veranstaltungen und Vorträge statt. Bodenfreiheit fördert Bewusstseinsbildung bei Entscheidungsträger*innen in Gemeinden, im Bildungsbereich und der breiten Öffentlichkeit und will zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über den Umgang mit Grund und Boden anregen. Das ist wichtig, denn die heutigen und künftigen Generationen brauchen
- funktionierende öffentliche Räume, um einander zu begegnen und um Meinungen auszutauschen,
- offene und zugängliche Freiräume, in denen die Menschen sich erholen, die Landwirtschaft sie mit Lebensmitteln versorgen und die Natur sich entfalten kann und
- leistbaren Wohnraum in fußläufiger Distanz zum öffentlichen Verkehr, zur Nahversorgung und zu Nachbarn.
Im Sinne eines guten Lebens für uns alle.
Interessierte können sich am Beispiel von Bodenfreiheit orientieren. Der Verein stellt seine Statuten und Erfahrungen zur Verfügung. Kontakt: www.bodenfreiheit.at
* Die Studie „Unter der Bahn – Strategien zur Innenentwicklung einer Einfamilienhaussiedlung“ wurde als Publikation der Landesraumplanung Vorarlberg herausgegeben und ist als Download erhältlich (Link https://vorarlberg.at/-/publikationen-der-abteilung-raumplanung-und-baurecht ).