Perspektive Landwirtschaft denkt die Hofnachfolge neu
Seit Jahrtausenden geben Menschen ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Jede neue Generation an Menschenkindern kann auf vorherige Kenntnisse und Fähigkeiten aufbauen und sie weiterentwickeln. Die Archäologie bezeichnet dieses Phänomen als kumulative Kultur, die entscheidend zur Menschwerdung beitrug und uns von Tieren unterscheidet. So wird Wissen bewahrt, zugleich kommt Neues in die Welt. Und so verhält es sich im besten Fall auch mit der Hofübergabe. Erfolg als Generationenprojekt – aber was, wenn die Hofnachfolge fehlt?
Ende März fand in Wien an der Boku das Symposium “Hofnachfolge neu gedacht” des Vereins Perspektive Landwirtschaft statt. Mit Vorträgen und Diskussionen mit Betroffenen, Hofübernehmenden und Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis aus dem In- und Ausland feierte der Verein mit Gästen, Mitgliedern und Freunden sein 10-jähriges Jubiläum. Dabei übertrug Leopold Kirner von der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik das Bild der kumulativen Kultur auf die Hofübergabe. Er begleitet seit Jahren junge Menschen, die den elterlichen Betrieb übernehmen wollen und hat Hofübergaben wissenschaftlich untersucht. Gelungene Hofübergaben gemein ist meistens, dass die Übernehmenden schon früh viel Freiheit und Verantwortung bekommen, eigene Fehler machen dürfen und dass Alt und Jung miteinander offen reden. Dadurch kann das Alte bewahrt und geschätzt werden, zugleich aber gibt es Offenheit für Veränderung und Weiterentwicklung am Betrieb.
Wenn aber die Hofnachfolge in der Familie nicht funktioniert oder keine in Aussicht ist, wird der Betrieb oft aufgegeben. Durch das sogenannte Höfesterben hat Österreich seit 1995 über ein Drittel aller Höfe verloren. Der häufigste Grund für die Aufgabe des Betriebes ist die fehlende Hofnachfolge, knapp die Hälfte der Betriebsleiter*innen über 50 hat keine gesicherte Nachfolge. Neueste Zahlen bestätigen diesen Trend leider, wie Johannes Fankhauser, Sektionsleiter für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung in seiner Eröffnung des zweitägigen Symposiums bestätigt.
Marktwirtschaftlich betrachtet wäre es ja kein Problem, der Betrieb wird einfach verkauft. Verkehrswert und Ertragswert klaffen aber weit auseinander und so kommt es, dass Betriebe, die zu hohen Preisen verkauft werden, nicht landwirtschaftlich genutzt werden können. Durch das Einkommen aus der Landwirtschaft kann der Erwerb nicht gestemmt werden. Diese hohen Marktpreise für landwirtschaftliche Betriebe führen dazu, dass Höfe immer häufiger zum Wohnstandort werden und die Bewirtschaftung eingestellt wird. Wie wichtig es aber wäre, junge Familien auf die Höfe zu bringen, unterstreicht auch Marianne Penker, Professorin an der Boku: “Höfe sind das Rückgrat der Gesellschaft.“ Wenn sie nicht erhalten werden, geht Vieles verloren, von der Versorgungssicherheit über die Resilienz in Krisenzeiten, altes bäuerliches Wissen über Anbau, Ernte und Verarbeitung, Diversität und Kulturlandschaft.”
Wie aber dieses Leck schließen, den Verlust stoppen? Viele Altbauern- und bäuerinnen sehen in ihrem Lebenswerk viel mehr als den ökonomischen Wert. Sie möchten, dass ihr Betrieb weiter bewirtschaftet wird. Als vor 10 Jahren der Verein, damals als “Netzwerk Existenzgründung in der Landwirtschaft” gegründet wurde, standen zunächst die Hofsuchenden im Fokus. Im persönlichen Umfeld gab es viele, die keinen Hof erben würden, aber Bauer oder Bäuerin werden wollten, blickt Gründungsmitglied Manuel Bornbaum auf die Anfänge zurück. Valide Zahlen, wie viele das Problem tatsächlich betrifft, gab es damals nicht. Erst die Bedarfsstudie 2015 brachte Licht ins Dunkel, es konnte belegt werden, dass es sowohl motivierte potentielle Hofübernehmende, als auch Landwirt*innen auf der Suche nach einer Betriebsnachfolge gibt.
Herzstück des Vereins war immer schon eine Plattform, auf der sich diese beiden Gruppen kennenlernen und austauschen können. Diese wurde 2018 mit der Website Perspektive Landwirtschaft realisiert, ein Bildungsangebot mit eigenen Formaten wurde als Ergänzung auf die Beine gestellt, um diesen Raum der Begegnung auch direkt und analog anbieten zu können. Wie oft es nun „funktioniert“ und eine außerfamiliäre Hofübergabe gelingt, ist schwer in Zahlen zu gießen, denn welcher Zeitpunkt wird betrachtet? Fokussiert man sich auf die wirtschaftliche Situation des Betriebes oder das Wohlbefinden der Beteiligten?
Dass es funktionieren kann, zeigten bei der Veranstaltung zwei Beispiele aus der Praxis: Johannes Schullern hat vor zwei Jahren mit seiner Partnerin den 500 Jahre alten Ferdlhof im Bezirk Rohrbach übernommen und auf Milchziegen umgestellt. Gesucht haben sie nicht lange, im Gegensatz zu Sabine Gruber und ihrem Mann Josef, die erst nach zehn Jahren ihren Traumbetrieb gefunden haben. Derzeit wird der übernommenen Bio-Heumilch-Betrieb reaktiviert, Haus und Stall modernisiert und eine Herde aufgebaut. Wie viele und welche der aktuell 350 Hofsuchenden so ein Glück haben, ist schwer vorhersehbar. Ihnen gegenüber stehen 110 Steckbriefe von Landwirt*innen, die nach einer geeigneten Nachfolge Ausschau halten. Ein 10-jähriges Jubiläum feiert heuer auch Andreas Hager: Im Bezirk Perg übernahm er 2014 einen Betrieb außerfamiliär. Neben seiner Leidenschaft für die humusaufbauende Bodenbearbeitung wird er nicht müde zu betonen, welch wichtige Rolle das offene, vertrauensvolle Gespräch in allen Beziehungen spielt, besonders zwischen den Generationen bei einer Hofübergabe.
Im letzten Block wurde es inspirierend: Verwandte Initiativen mit demselben Ziel, eine vielfältige Landwirtschaft in Österreich zu erhalten, stellten sich vor und tauschten sich am Podium mit dem Publikum aus. Wie könnten Förderungen so gestaltet werden, dass kleine Betriebe davon profitieren, wie können Hofkollektive und Einsteiger*innen mit innovativen Ideen unterstützt werden? Die Munus Stiftung will Grund und Boden gemeinschaftlich nach sozialen und ökologischen Kriterien verwalten und bietet ein ganz praktisches Werkzeug, um Land vor der Verwertung zu schützen, berichtete Lorenz Glatz. Auch Eva Seebacher von der solidarischen Landwirtschaft Krünzeug und Lelio Libardi von der Solawi Ackerschön beweisen jeden Tag, dass enge Bande zwischen Produzierenden und Konsumierenden wertvoll und möglich sind. Isabella Lang von der österreichischen Berg- und Kleinbäuer*innenvereinigung spannte den Bogen weiter über die politischen Rahmenbedingungen, die wir auch mitgestalten müssen.
Es hat viele Jahre gedauert, bis das Thema außerfamiliäre Hofnachfolge auch in den landwirtschaftlichen Institutionen als Chance gesehen wird – als Chance, Betriebe zu erhalten, die Branche zu verjüngen, neue Ideen, Innovationen und Investitionen auf die Höfe zu bringen. Mit dem Symposium wurden Erfolge gefeiert und neue Ideen geschmiedet, weil jeder Hof zählt. Wenn es bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern! Um Höfe zu erhalten, braucht es auch neue Wege der Hofnachfolge.